Freiburg im Breisgau, die südliche Schwarzwaldstadt, lockte zum Jahresende hin eine ganze Schar hörgeschädigter Menschen in ihr buntes Stadtleben. Doch was macht diese Stadt so besonders, ist es der gotische Stil, die traditionelle schwäbische Küche oder schlichtweg der Fakt, dass 37 hörgeschädigte Menschen aus ganz Deutschland und Österreich dort gemeinsam einen schönen Jahresübergang verbringen wollen? Das Programm, veranstaltet und organisiert von Caro und Jan (aus dem Orga-Team DeafOhrAlive Hessen-Rhein-Main), hatte es schließlich in sich. Also beschlossen einige von uns, den weiten Weg quer durch Deutschland auf sich zu nehmen oder auch aus der Ecke anzureisen, um neue Aktionen zu erleben, einen Austausch zu begrüßen oder mit vollgespeisten Mägen auf das Jahr 2025 anzustoßen.
Doch Achtung, Freudenfeuer können sich auch in einem turbulenten Zwiespalt befinden! Die Auflösung erfolgt am Ende, also bleibt dran! 😉
Nach den zahlreichen Anreisen am 29.12.2024 im B&B-Hotel Süd, begaben wir uns zu dem Haus der Schwerhörigen, in dem die Deutsche Cochlea Implantat Gesellschaft (DCIG) auch ihre Geschäftsstelle hat. Uns wurde u.a. ein großer Aufenthaltsraum geboten, der mit einer zu unserem Vorteil akustiktechnischen Ausstattung gebaut wurde. Zudem achtete das Orga-Team darauf, dass wir mittels Übertragungsschleifen den Ansprachen zur Planung folgen konnten. Zum Abendessen gab es self-made Pizza, mit der wir uns für die intensiven Gespräche und geselligen Spiele an dem Abend stärken konnten. Der Ausklang des ersten Abends war anschließend geprägt von einer erwartungsvollen Freude auf die nächsten Tage.
Wohlgemerkt konnte zudem eine Spende, die die DCIG noch 2024 erhalten hatte, für das Silvester-Event genutzt werden. Die Spende wurde mit dankbaren Worten empfangen, die sich darin auszahlt, dass wir Teil dieser Gemeinschaft von Andershörenden sein dürfen und an diversen Veranstaltungen zum positiven Zwecke teilnehmen können.
Schneckenjagd durch Freiburg
Kurz vorweg eine Info an Außenstehende: Dieser Programmpunkt ist eine Abwandlung einer Schnitzeljagd und nennt sich Schneckenjagd, weil wir in unserer Truppe zumeist von den Defiziten der Hörschnecke betroffen sind und daher mit Hörhilfen versorgt sind.
Es war der Tag zum 30.12.2024, an diesem Tag habe ich so viele Meter gemacht wie noch nie in diesem Jahr. Die Schneckenjagd war ein Auf und Ab, ein Hin und Her, doch mit jedem Blick auf die Stadt Freiburg wollte ich immer mehr. Man könnte die Schneckenjagd mit einem Schrägstrich einer Stadttour gleichsetzen, denn ich sah viele schöne Ecken von Freiburg und fand mich manchmal Momente lang in einem träumerischen Touristen-Szenario wieder, bis ich realisierte, dass wir uns in einem Katz- und Maus-Spiel befanden. Also habe ich mir geschworen, dass ich mir zu einem ruhigeren Zeitpunkt die Stadt ansehen und durchforsten werde.
Nun, zurück zum Beginn. Wir wurden in vier Gruppen aufgeteilt und, ganz im altmodischen Stil mit Papierrolle, mussten wir insgesamt acht Rätsel auf Papierrollen lösen, jedes davon enthielt Eckpunkte zum Versteck der nächsten Papierrolle. Die Knobelstufen gingen von schlichtem Kreuzworträtsel bis hin zu mathematischen Aufgaben, es wurde ganz Besonders nach dem Augen-Geschick gefragt. An dieser Stelle können wir als Hörgeschädigte von Glück reden, dass wir ein starkes, visuelles Sichtfeld haben. Einziges Manko, wir durften uns nicht im Schneckentempo bewegen, da die anderen Gruppen uns immer wieder entgegenkamen und zweifelsohne sehr zähe Gegner waren. Für unser Privileg sprach jedoch, dass wir mit Ulrike Berger, Geschäftsführerin der DCIG, eine Freiburg-Kennerin in unserer Gruppe hatten.
Zum Ende hin wurde es ein Wettlauf gegen die Zeit, die "Wiwili-Brücke" mit ihren eleganten, blauen Bögen war der finale Showdown. Die Brücke verbindet den Stühlinger Stadtteil mit der Altstadt und ist mit ihrer herausstechenden blauen Farbe ein beliebter Treffpunkt für Radfahrer und Fußgänger. Hierbei ist auch der Blick auf den Schönberg und die Türme der "Herz-Jesu-Kirche" hervorzuheben. Ich überquerte in Jogger-Manier mindestens 3–4-mal die Brücke, bis schließlich das letzte Rätsel gefunden wurde, das uns zu den Kirchtürmen der eben genannten Kirche führte. Aus der Puste und zurückblickend auf die schöne Aussicht, kann ich aber sagen, dass es sich gelohnt hat.
Das Jesus-Kreuz auf der hinteren Seite der Kirchtürme, welche nach Vorbild des Limburger Doms gebaut wurden, markierte das Ziel der Schneckenjagd und den abschließenden Treffpunkt.
Warm angezogen, wir waren schließlich die Mützengang, schafften wir es als erste Gruppe zum Ziel! Es sind leider nicht alle Gruppenteilnehmer drauf, aber alle haben genau gleich viel dazu beigetragen!
Besuch der Keidel Therme
Nach der ereignisreichen Schneckenjagd gab es eine wohlverdiente Entspannung, es ging in die Keidel-Therme. Die Wirkung des Mineral-Thermalwassers auf Temperaturgraden von 30°C bis 40°C konnten wir nach dem Stadttrubel nun für mehrere Stunden genießen.
Nach dem Eintritt ging bereits der Großteil der Gruppe in den Außenbereich, das Wort Kälte im Dezember fand hier keine Verwendung. Einige haben sich erstmal warmgeschwommen, andere starteten ihre ersten Gespräche. Ich machte mir über die Kommunikation in der Therme wenige bis keine Gedanken, da ich mir um den geschützten Raum in der Gemeinschaft bewusst war. Die Möglichkeit, gehörlos zu sein und Wege der eigenen Kommunikation zu finden, funktionierte auch in der Therme. Hin und wieder kommunizierte man in der Deutschen Gebärdensprache unter Verwendung des Finger-Alphabetes, aber auch das Ablesen des Mundbildes ist wahrlich eine Stärke, die wir stundenlang (wenn nicht sogar alltäglich) meistern können. Die einzige Herausforderung, auf die wir stießen, war der Nebel draußen, der uns zwischenzeitlich das Gefühl gab, die eigenen Leute nicht mehr finden zu können.
Mein Highlight war jedoch unsere Menschenschlange im thermischen Strömungskanal, den wir wortwörtlich für uns eingenommen hatten. Hände auf die Schultern der jeweils anderen, liefen wir gleich mehrere Runden in Polonaise. Dabei war es gleich, ob wir die Teilnehmer unserer Gruppe gerade mal seit ein paar Stunden kannten oder über 10 Jahre nicht mehr gesehen hatten. Einer der euphorischen Momente, auf den ich mit einem Lächeln im Gesicht zurückblicken kann, denn die Vertrauensbasis in unserer Gemeinschaft ist von großem Wert.
Zum Abend hin hatten wir die Möglichkeit auf einen Social-Media Auftritt, der von einem Tätigen der DCIG gedreht wurde. Einige haben es in Anspruch genommen, um über das aktuelle Event oder Sonstiges im Rahmen unserer Aktivitäten zu berichten. Über den Social-Media-Kanal der DCIG könnt ihr die Kurzinterviews nun abrufen.
Im weiteren Verlauf des Abends stießen noch zwei Neulinge dazu, die sich mit an Spiel und Spaß beteiligten. Es wurde zudem munter auf Musik eingestimmt, die bis in die Morgenstunden noch Glückshormone und einen Macarena-Tanz der Extra-Klasse hervorrief. Hervorzuheben ist aber, wie am ersten Abend auch, das großartige Küchenteam, das uns eine mustergültige Chili con/sin Carne sowie weitere Gerichte zubereitet hatte, um uns für den aktionsreichen Jahresabschluss am nächsten Tag zu stärken.
Münsterführung + Bowling/Escape Room
Der letzte Tag im Jahr startete zum Mittag mit einer Münsterführung. Der ein oder andere NRW-Bewohner mag sich jetzt fragen, ob wir mal eben 440 km Luftlinie gereist sind, um Münster zu besichtigen. Nein, es handelt sich um eine katholische Kirche und eines der größten Freiburger Sehenswürdigkeiten, das sich über die Altstadt streckt. Die Historie eines Gebäudes, das 800 Jahre Geschichte beinhaltet und von den damaligen Kriegsbomben verschont blieb, ließ die ganze Gruppe erstaunen. Ulrike Berger nahm uns ein Stück weit mit in die Geschichte, erzählte uns auch von der drei Tonnen schweren Glocke, die für uns nicht zu überhören war. Als bemerkenswert sind mir diverse gestaltete Figuren in Erinnerung geblieben, die an dem Mauerwerk des Freiburger Wahrzeichens entlangragen und alle eine individuelle Form haben. Es handelt sich um sogenannte Wasserspeier, die vor zu viel Regenwasser schützen sollen, aber auch die Aufgabe haben, das Gotteshaus vor den bösen Dämonen zu schützen. Nachdem wir das Innere des Münsters verließen, kam schon der erste Kälteschauer auf uns zu.
Ob es nun die Geschichte war, die uns zum Schaudern brachte oder tatsächlich der erste Tag, an dem wir eisige Minusgrade hatten, sehnten wir uns nach ein bisschen Wärme im Haus der Schwerhörigen, so manch einer auch nach dem speziellen Freiburger Käsekuchen und einem heißen Kaffee sowie einer sportlichen Aktivität, die noch an dem Tag anstand. Es folgte ein Zeitplan, der so eng getaktet war, dass wir nur wenige Minuten zum Kochen bzw. Essen hatten und dann gleich wieder mit den Öffis losmussten. Das zeigte uns mal wieder: Wir können alles außer Hören! 😉
Für die einen ging es zum Escape Room, andere wiederum versuchten sich im Bowling. Ich war Part der Bowlinggruppe, möchte aber erwähnen, dass beide Escape-Room Gruppen es geschafft haben, ihre Rätsel zu lösen und heile mit uns zum Jahresausklang anstoßen konnten. Die Bowlinggruppe teilte sich in vier Bahnen auf, aber was ist schon Bowlingspielen ohne die ganzen Gespräche. Also lenkten wir uns gegenseitig gut und gerne ab. Wir erzählten uns Storys, die vor der Abreise am nächsten Tag noch erzählt werden mussten. Gleichzeitig durften wir auch einige gute Würfe unserer Gruppe bestaunen.
Feuerwerk und Neujahrsrutsch
Tonight was the night! In wenigen Stunden neigte sich das Jahr dem Ende zu. Ich für meine Person blickte auf ein sehr eindrucksvolles Jahr zurück, lebte aber auch in dem Moment der Vorfreude, gleich ein schönes, saftiges Burger-Menü in der Maria-Bar Freiburg zu essen. Verteilt auf mehrere Tische, schlugen wir uns die Bäuche mit Double, Triple oder gar 1,2 kg Pattys voll. Während die einen sich in Trinksprüchen übten, planten andere bereits Meet-Up-Termine für das neue Jahr - oder wickelten schnell Neujahrsgeschäfte ab. Das Tolle war, dass wir die Maria-Bar für den weiteren Verlauf der Nacht nutzen konnten. Noch praktischer war die Tatsache, dass sich die Bar direkt in der Nähe vom Feuerwerkspektakel am Marktplatz der Altstadt befand, sodass wir im Fall der Fälle eine Wärmezuflucht hatten.
Ganz wie es der traditionelle Silvester-Brauch will, gingen wir schick angezogen raus in die Nacht, um ein Feuerwerk zu bestaunen. Das war zumindest unser Plan…
10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1…. LEUCHTENDE BENGALOFACKEL auf dem Schoß unseres geliebten Luca. Es bildete sich ein Brandloch in seiner Hose und seinem Rollstuhl um genau 0:00 Uhr… Das war unfassbar, Freudenfeuer wurde zum Feuerspiel, Neujahrsglück wurde zu Neujahrspech. So sehr versehentlich ein eigenes Feuerwerk abgeschossen wurde, können wir alle darüber froh sein, dass niemand ernsthaft verletzt wurde. Ein großer Dank gilt auch den direkt zur Hilfe geeilten Leuten unserer Truppe. Und einem gut aufgelegten Luca, der sich seine Laune nicht nehmen ließ und die Geschichte prompt zu einem kuriosen Erinnerungsstück abtun konnte.
Nach dem ganzen Schreck setzten wir die Neujahrsanstöße mit den Wunderkerzen fort und achteten ganz besonders darauf, dass wir alle Teilnehmer der Runde beglückwünschten. 2025 ist angebrochen und damit auch die Zeit der neuen Vorsätze und Pläne.
Um es mit Theodor Fontanes Worten zu erwähnen: „Das Leben gleicht einer Reise, Silvester einem Meilenstein" möchte ich mich mit einem reflektiv betrachtenden Neujahrs-Ich an die schöne Zeit in Freiburg erinnern und hoffentlich noch viele weitere Silvester-Events besuchen dürfen.
Vielen Dank an die finanzielle Unterstützung durch den Kostenträger Cochlear Implant Verband Hessen – Rhein-Main e.V., durch die Vorbereitung und Organisation durchgeführt werden konnten. Vielen Dank an Caro und Jan, die uns mit der Programmgestaltung eine große Freude bei der Teilnahme ermöglicht haben!
Bis bald wieder!
Merlin Westerwalbesloh
Januar 2025