„Gleich taub, ungleich behandelt"
Eine Stellungnahme des Cochlear Implant Verbandes Hessen – Rhein-Main e.V.
Als Ende April 2021 die Nachricht von der bevorstehenden ersten Lesung des Gesetzes zum Gehörlosengeld in Hessen verbreitet wurde, überschlugen sich die Regierungsparteien in Eigenlob und auch die Opposition war Feuer und Flamme für diese Initiative, um die bereits viele, viele Jahre gerungen wurde.
Die Frankfurter Rundschau titelte am 19.04.2021 – von der Regierung unwidersprochen – „Monatlich 150 Euro sollen jene Hessinnen und Hessen erhalten, bei denen „Taubheit oder eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beiderseits" vorliegt." Damit waren Erwartungen geweckt, die so offenbar nie geplant waren umzusetzen, aber mit diesen Enttäuschungen müssen wir uns nun auseinandersetzen, nachdem am Donnerstag das Gesetz nach dritter Lesung und im entscheidenden Punkt unverändert verabschiedet worden ist.
Das Ministerium war in der Hinsicht u.E. von Anfang an äußerst schlecht beraten, denn auch Fachleute haben mehrfach darauf hingewiesen, dass die Kombination von GdB 100 und dem Merkzeichen GL in vielerlei Hinsicht ins Leere läuft. Auch widersprechen die Zahlen, die der Staatsminister in seinen Ausführungen zum Besten gab -„80 % aller Gehörlosen haben die Merkzeichen GL in der Kombination mit dem GdB 100"- völlig der Wahrnehmung der Selbsthilfe der Ertaubten und Schwerhörigen in Hessen. Wir sehen in dem Gesetz eine glasklare Diskriminierung von gehörlosen Menschen und einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Sämtliche Gesprächsangebote an die Regierungsparteien wurden ignoriert, unsere Expertise in das Verfahren einzubringen. In dem entscheidenden Punkt, der zu den Erwartungen im April geführt hat, war die Regierung nicht bereit sich zu bewegen.
In den Namen von neuen Gesetzen hat in den letzten Jahren ein gewisser Euphemismus Eingang gefunden, so gibt es neben dem „Starke-Familien-Gesetz" und dem „Gute-Kita-Gesetz" nun auch ein Landesgehörlosengeldgesetz – LGlGG, das seinen Namen in der Form leider NICHT verdient.
„Dumm ist der, der Dummes tut" sagt uns Forrest Gump, aber gehörlos ist offenbar NICHT jede/r, die/der vom Versorgungsamt als gehörlos eingestuft ist und dafür das Merkzeichen GL erhalten hat.
Eigentlich müsste das Gesetz von Anfang an wie folgt heißen:
LandesgesetzüberGehörlosengeldfürbestimmteGruppenvonGehörlosendiegehörlosoderanTaubheitgrenzendsindmitschweren
SprachstörungenunddeswegeneinenGdB100haben.
Die dafür notwendige Abkürzung erspare ich uns allen.
Während jene jubeln, die unter diese Definition fallen, sind andere zutiefst enttäuscht, die zwar vom Versorgungsamt als GEHÖRLOS eingestuft sind, die aber keinen GdB 100 haben. Der Sozialminister gibt jenen mit auf den Weg, doch auf dem Versorgungsamt ihre Einstufung überprüfen zu lassen, was jetzt ggf. zu einem Ansturm auf die Ämter führen könnte. Aber die Hürde dort ist hoch, denn wie sollte jemand im fortgeschrittenen Alter heute im Jahre 2021 belegen können, dass er/sie bereits frühkindlich ertaubt oder bereits gehörlos geboren ist? Bisher spielte es KEINE wesentliche Rolle, ob man GdB 90 oder 100 hatte, heute spaltet das die Gehörlosen im Lande, wie wir aus zahlreichen Rückmeldungen seit Donnerstag vernommen haben.
Wie gesagt, wir sind Befürworter des Gesetzes, es ist aber leider handwerklich absolut schlecht gemacht und wir sind dankbar, dass die Oppositionsparteien dies offenbar verstanden haben, während die Regierungsparteien hier keine Einsicht hatten.
Wir möchten dennoch alle Trägerinnen und Träger von Cochlea Implantaten und anderen Hörhilfen ermuntern, die nun bezugsberechtigt sind (Merkzeichen GL und GdB 100), sich um das GL-Geld zu kümmern. Es geht pro Person um maximal 9.900 €, da das Gesetz zunächst bis Ende 2026 befristet ist. Senden Sie unbedingt vorab formlos ihren Antrag samt Kopie des Schwerbehindertenausweises an:
Funktionsbereich Blinden- und Gehörlosengeld
Funktionsberichsleiter
Bernd Torbohm
Haupt- und Regionalverwaltung Kassel
Kölnische Straße 30
34117 Kassel
Telefon 0561/1004-2252
Fax 0561/1004-1252
EMail bernd.torbohm@lwv-hessen.de
Insbesondere Kinder mit Cochlea Implantaten haben somit Anspruch auf diese Leistung, damit sollen Mehraufwendungen ausgeglichen werden, um die gleichberechtigte Teilhabe der Menschen mit Sinnesbehinderungen am Leben in der Gesellschaft zu erleichtern.
Aber Vorsicht, liebe Eltern, wir hören oft von anderen Eltern, dass die Versorgungsämter mit dem Erreichen des 18. Lebensjahres eine Herabstufung auf GdB 80 erwirken möchten, verbunden mit dem Streichen diverser Merkzeichen. Dagegen sollten Sie sich unbedingt wehren, denn damit wäre der Anspruch aufs Gehörlosengeld gleich mit verwirkt.
Die Erwachsenen mit < GdB 100 kann ich ermutigen, tatsächlich ihren GdB überprüfen zu lassen. Aber Achtung, diese Überprüfung kann auch gegebenenfalls zu einer geringeren Einstufung als bisher führen!
Darüber hinaus steht es in Hessen jedem frei, die Gerichte anzurufen - entweder in einer Normenkontrollklage, falls das Gesetz gegen übergeordnete Vorschriften verstößt oder vor einem der fünf Verwaltungsgerichte in Hessen, wenn er/sie geltend macht, er/sie sei durch
den Erlass eines Verwaltungsaktes, durch die Ablehnung eines Antrages oder durch eine Unterlassung der Behörde in seinen/ihren Rechten verletzt worden.
Michael Schwaninger
Vorsitzender
Cochlear Implant Verband – Hessen - Rhein-Main e.V.
www.civhrm.de
Hügelstraße 6
61231 Bad Nauheim