Ein Leben mit Cochlea Implantat - Jan von der jungen Selbsthilfe zu Gast an der Uni Marburg
Das Cochlea Implantat so bekannt machen wie den Herzschrittmacher – getreu diesem Leitsatz von unserem 1. Vorsitzenden Michael Schwaninger durfte ich, Jan von Deaf Ohr Alive – Hessen RheinMain am 30.01.25 an der Uni Marburg als Gast über meine Hörschädigung sprechen.
In der Seminar-Veranstaltung „Perzeptive Phonetik" bei Fr. Dr. de Jong-Lendle im Studiengang „Klinische Linguistik" durfte ich im Rahmen des Vortrags von Emely Plümacher, Natascha Schuldes und Alexandra Krüger offene Fragen der interessierten Zuhörerinnen aufklären und anschauliche Einblicke in das Leben mit einem Cochlea Implantat geben.
Die drei Studentinnen hatten über unseren Instagram-Kanal von Deaf Ohr Alive – Hessen RheinMain, der jungen Selbsthilfe des CIV HRM eine Anfrage gestellt, ob jemand von uns Zeit und Lust hätte, über seine Erfahrungen zu sprechen. Da ich in Marburg wohne und meine Arbeitszeiten flexibel einrichten kann, passte das super, sodass ich mich bei ihnen meldete und sehr gerne meine Expertise anbot.
Zwei Wochen vorher haben wir uns in einem Café in Marburg getroffen, um uns kennenzulernen und auch einfach bisschen zu quatschen. Es waren sehr angenehme und lustige Gespräche und es gab in dem (lauten) Café auch mal die ein oder andere Verhörer-Situation, sodass Alex, Natascha und Emely direkt „am lebenden Objekt" schonmal erste Einblicke - oder vielmehr „Reinhörer" - in das Leben mit Cochlea Implantat bekamen. Ich erklärte ihnen ein paar typische Situationen, die mir immer wieder über den Weg laufen wie z.B. die Aussagen „ist nicht so wichtig", wenn man etwas nicht verstanden hat oder „ich wäre gern auch hörgeschädigt, dann könnte ich auch einfach mal abschalten", was ich selbst immer noch sehr krass finde.
Gemeinsam mit den drei Studentinnen gingen wir den Vortrag über „Ein Leben mit Cochlea Implantat" durch, um hier und da ein paar Anmerkungen und Ergänzungen von mir einfließen zu lassen. Natürlich habe ich selbstverständlich auch dafür gesorgt, dass der CIV HRM und Deaf Ohr Alive sowie die Links zu den Homepages in dem Vortrag auftauchen 😉.
Am Vortragstag haben Natascha, Alex und Emely zunächst einmal anhand eines Videos die grundlegende Technik eines Cochlea Implantats erklärt. Anlaufstellen für Betroffene im Raum Marburg und Hessen wie z.B. der CI-Treff Marburg von Claudia Burk und Svenja Sauerwald wurden aufgezeigt.
Der Fall Braunschweig als Kernkomponente mit dem wichtigen Statement des Präsidenten der DCIG e.V. Dr. med. Roland Zeh (https://dcig.de/politische-arbeit/Stellungnahmen_der_DCIG/fall-braunschweig) gegen Zwangsimplantationen.
- Offenheit zeigen: freundlich und kommunikativ sein, ohne Berührungsängste
- Kontaktaufnahme: visuelle oder physische Signale nutzen (antippen, Licht, Bewegung)
- Positionierung: auf gutes Licht achten und im Sichtfeld des Gesprächspartners bleiben, Fenster hinter der hörbeeinträchtigten Person, damit diese nicht mit zusammengekniffenen Augen gegen das Licht schauen muss und das Mundbild nur schlecht erkennt
- Blickkontakt & Kontext: Blickkontakt herstellen und Themen klar benennen
- Mundsichtbarkeit: klar und deutlich sprechen (aber nicht übertreiben!), ohne den Mund zu verdecken
- Abstand halten: eine klare Wahrnehmung der Körpersprache ermöglichen
- Körpersprache nutzen: Gestik, Mimik und Körpersprache sind wichtige Kommunikationsmittel
- Nachfragen & Wiederholen: Unklarheiten geduldig klären
Weiter ging es mit Stereotypen und Vorurteilen, mit denen Menschen mit Hörbehinderung tagtäglich zu kämpfen haben: „Menschen mit CI können perfekt hören und haben also keine Behinderung mehr" oder „Mit einem CI ist man ganz normal, braucht also keine Unterstützung mehr", um nur zwei zu nennen, bei denen sich bestimmt nicht nur bei mir schon die Nackenhaare aufstellen.
Ein wichtiges Thema hat auch folgendes Vorurteil losgetreten, mit dem wir in die Fragerunde gestartet sind: „Menschen mit CI sind keine 'echten' Gehörlosen." Leider gibt es zuweilen diesen Streit zwischen Menschen mit Hörbehinderung, die sich gegen und für eine CI-Versorgung entscheiden. Menschen mit einer CI-Versorgung nutzen häufig die Lautsprache als Muttersprache. Ihnen wird von Menschen aus der Gebärdensprach-Kultur manchmal vorgeworfen, sie seien schuld daran, dass deren Muttersprache, also die Gebärdensprache, ausstirbt. Bei aller Uneinigkeit, deren Gründe man aufgrund ihrer Komplexität in der vorangegangenen Erläuterung nicht ansatzweise gerecht wird, ist hier ganz klar zu benennen, dass die Entscheidung für oder gegen eine CI-Versorgung eine extrem persönliche Entscheidung ist, die jede/r für sich selbst trifft und in jedem Fall richtig ist. Es gibt kein „falsch"!
Nun zum „Highlight" des Vortrags, so wie Emely, Alexandra und Natascha es nannten: Die Fragerunde an mich, in der ich aus meinem Leben mit einem Cochlea Implantat erzählen durfte. Es wurden viele Fragen gestellt, was mich sehr freut und ich hätte bestimmt den ganzen Tag weitererzählen können, haha! Nach gut 45 min. musste ich dann aber auch mal einen Punkt machen. Exemplarisch habe ich zwei Fragen mitgebracht, auf die ich eingehen möchte:
- 1.Hast du das Implantat gemerkt, nachdem es eingesetzt wurde?
Tatsächlich kann ich das Implantat von außen ertasten. Direkt hinter dem Ohr kann man ein hartes, eckiges Etwas unter der Haut fühlen, wenn man mit dem Finger darüberfährt. Ansonsten spüre ich das Implantat im Alltag nicht. Selten kann es mal leicht schmerzen, wenn man zu lange zu viel Druck ausübt, wie es z.B. beim Tragen eines Helms vorkommen kann. In meinem Fall habe ich mit einem Fahrradhelm überhaupt keine Probleme, wohingegen das Tragen des Feuerwehrhelms in meiner aktiven Zeit als Feuerwehrmann bei längeren Einsätzen auch mal unangenehm wurde.
- 2.Kann man direkt nach der OP (wieder) hören? Wie war dein Hörenlernen?
An meine OP 1999 kann ich mich nur noch sehr vage erinnern, weshalb ich von den Erfahrungen nach meiner Reimplantation 2016 berichte: Aufgrund eines Defekts, der mir – nebenbei bemerkt sehr unangenehme, ja schmerzhafte – Stromschläge bescherte, musste mein Implantat nach 17 Hörjahren mithilfe einer OP ausgetauscht werden. Nach der Erstanpassung einen Monat nach der OP hörte ich Stimmen nur noch wie ein Morsecode-Piepsen. Ich sagte meinem Anpasser, dass ich nur Piepstöne höre, wohin er entgegnete, das sei normal. In dem Moment wollte ich einfach nur mein altes Implantat zurück und wieder so hören wie vorher. Das ging natürlich nicht. Ich akzeptierte meine Situation, wieder bei 0 anfangen zu müssen und nahm mir fest entschlossen und optimistisch vor, wieder erfolgreich Hören und Verstehen zu lernen. Vor allem wollte ich Musik wieder genießen können! In den ersten Wochen gelang es mir, Stimmen von anderen Geräuschen zu unterscheiden. Mithilfe der ambulanten Reha, die ich 2 Jahre lang alle ein bis zwei Wochen besuchte, stieg nach ungefähr drei Monaten mein Sprachverstehen auf ein Niveau von ca. 90 %. Aber alles hörte sich grässlich an und ich konnte keine Männer- von Frauenstimmen unterscheiden, dies gelang mir erst nach einem halben Jahr. Insgesamt erst ein Jahr nach der Reimplantation war ich wieder bei einem Sprachverstehen von nahezu 100 %, konnte Musik genießen und – Achtung, Trommelwirbel – konnte jetzt sogar das Plätschern des Wassers in der Spülmaschine hören! Das hörte ich mit meinem alten Implantat nicht.
Auf keinen Fall unerwähnt bleiben sollte, dass nicht nur Menschen mit Hörbehinderung besondere Herausforderungen im Alltag meistern müssen, nein, ALLE Menschen mit einer Beeinträchtigung leisten jeden Tag Unglaubliches und jede Beeinträchtigung ist so individuell, dass es extrem wichtig ist, immer für Neues offen zu bleiben und nachzufragen, wenn man unsicher oder etwas unklar ist. So konnte ich auch von einer Kursteilnehmerin mit einer Sehbeeinträchtigung wieder Neues lernen, was diesen Vormittag des 30.01.25 nochmal besonders bereichernd für mich machte!
Vielen Dank an Emely, Natascha und Alexandra für die Einladung und auch für die angenehmen Gespräche vorab in dem Café in Marburg und vielen Dank an alle, die dabei waren und ihr Interesse und ihre Neugierde zeigten - die Grundvoraussetzung, um das Cochlea Implantat so bekannt zu machen wie den Herzschrittmacher!
Jan Röhrig
Februar 2025
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