Nach wochenlanger Planung und Erkundungen vor Ort war es am 20.04. soweit und es trafen sich in Gelnhausen am „Obermarkt" 11 SHG-Mitglieder, die von der Stadtführerin, Frau König herzlich begrüßt wurden. Entgegen dem Wetter am Freitag hatte Petrus ein Einsehen und es war ein kühler, aber sogar meist sonniger Tag. Zu Beginn der Führung wurde erst etwas aus der Entstehungsgeschichte Gelnhausens durch den damaligen Kaiser Friedrich I, Barbarossa erzählt und warum gerade hier er seine Kaiserpfalz und die Stadt bauen ließ. Es war der Kreuzungspunkt der Handelsstraßen von Leipzig nach Frankfurt und von Hamburg nach München und Italien. Anhand eines sehr schönen Bronzemodells erläuterte sie die Entstehung und das Wachstum der Stadt, bevor wir dann zum eigentlichen Stadtrundgang aufbrachen.
Es sind oft die Kleinigkeiten, die dem normalen Besucher glatt entgehen, die aber für die damalige Zeit wesentliche Knackpunkte waren, wie der Engpass in der Töpfergasse, die nur als „Einbahnstraße" genutzt werden konnte und am Ostende einen dicken Stein im Haussockel hat, den „Stein des Anstoßes". Wessen Wagen nicht daran vorbei kam, konnte nicht weiterfahren. Auch die Inschrift unter dem Dach bezeugt diese Engstelle.
Wir konnte aber alle ohne Probleme durch die Töpfergasse gehen und gelangten bald zum Wahrzeichen von Gelnhausen, der Marienkirche. Sie hat eine sehr wechselvolle Geschichte, sowohl was die Bauzeit und den Baustil als auch durch die Reformation, die erst relativ spät eingeführt wurde. Dadurch sind aber viele wertvolle Einrichtungen in der Kirche erhalten geblieben, die sonst durch die Bilderstürmer vernichtet worden wären. So ist der Lettner, sind der Hauptaltar, die Seitenaltäre und im Ostchor der „Chorherrenaltar noch vorhanden. – Wie streng früher die Sitten waren, zeigte uns die Führerin auch am so genannten „Hochzeitsportal". Es durfte erst die Ehe in der Kirche abgesegnet werden, wenn vor dem Portal praktisch die standesamtliche Trauung verhandelt und beschlossen war. Die jetzige Marienkirche war anstelle einer kleinen Kapelle errichtet worden und im Laufe der Zeit, nicht wie sonst üblich, von Ost nach West, sondern nach Osten hin gebaut worden, darum sind die ältesten Bauteile noch im romanischen Stil, später im frühgotischen bis hochgotischen Stil errichtet worden.
Von der Marienkirche haben wir dann einen Abstecher in den dunkelsten Teil der Geschichte von Gelnhausen gemacht, die Besichtigung des „Hexenturms". Er wurde ursprünglich errichtet als Wehrturm, darum hatte er ebenerdig keinen Zugang durch die 3-Meter dicken Mauern und wurde unten als Pulverlager verwendet. In der Zeit der Hexenprozesse wurde das Pulverlager als Verließ für die Beschuldigten verwendet. Es ist ein Trauerspiel, wie viel brutale Fantasie die Menschen damals aufgewendet haben. Neid, Missgunst und Habgier, auch religiöser Fanatismus waren Gründe, Nachbarn oder Andere zu denunzieren, die danach keinerlei Chance hatten, lebend die Tortur zu überstehen. Da war es besser, im Verließ zu sterben als später auf dem Scheiterhaufen verbannt zu werden.
Am Hexenturm ist eine Gedenktafel für einige Opfer angebracht, stellvertretend für all die Unbekannten. Heute kann man über eine Außentreppe in den Hexenturm und bis auf die Wehrplattform, von der aus die Verteidiger auf die Angreifer schießen konnten. Für uns bot sich eine schöne Aussicht über Gelnhausens Altstadt im Norden und bis zur Pfalz im Süden, aber immer nur in sehr engem Winkel, wie es die Schießscharten zugelassen haben.
Nach dem Hexenturm ging es zu einem wesentlich erfreulicheren Punkt der Führung, zum Philipp-Reis-Museum. Er ist in Gelnhausen geboren und hat den Urtyp des Telefons erfun-den, das allerdings nur in einer Richtung nutzbar war, Gespräche zwischen zwei Personen waren noch nicht möglich. Hier erklärte uns Frau König, wie das Gehör funktioniert anhand eines großen Modells, bevor wie dann auch in das begehbare Ohr einsteigen konnten.
Mit verschiedenen Versuchen zeigte sie uns auch, wie unterschiedlich gut verschiedene Materialien Schall leiten und wie gut bei manchen Tieren das Gehör ist, z.B. bei den Walen, die über 1000 km unter Wasser mit ihren Artgenossen kommunizieren können. Mit dem begehbaren Ohr ist ein Modell gebaut worden, das einem Menschen entsprechen würde von 160 Meter Größe. Hinter der Ohrmuschel sieht man dann das Trommelfell, an dem die Gehörknöchelchen – Hammer – Amboss – Steigbügel – die Verbindung zum ovalen Fenster vor der Hörschnecke gezeigt werden. Bewegt man das Trommelfell, werden die Schwingungen zur Hörschnecke übertragen und an einem stilisierten Hörnerv sieht man durch LED-Leuchten die in der Schnecke umgewandelten Schallwellen als elektrische Impulse zum Gehirn laufen. Die Darstellungen sind für Normalhörende sehr interessant und auch wir, die durch den Hörverlust mit dem Thema vertraut sind, haben einen neuen Eindruck von der Komplexität des Hörens gewonnen.
Nach dem Besuch im Museum ging es in eine Pizzeria, damit auch der Magen etwas zu tun bekam. Unserer Stadtführerin ganz herzlichen Dank, da sie uns einen wunderschönen Nachmittag bereitet und sogar für gutes Wetter gesorgt hatte während der gesamten Führung.
Karl-Wolfgang Kaiser
April 2024