5. und 6. März 2016
Tagungsort: Universitätsklinikum Frankfurt a.M.
Thema: Vernetzung von Selbsthilfe und Gesundheitswesen Leben mit dem Cochlea Implantat – Bedeutung der Nachsorge
Nachdem Alfred Frieß und ich, Jens Howe, bereits am Vortag durch die Teilnahme an der ordentlichen Vorstandssitzung der DCIG e.V. gut ins Thema eingestimmt waren, begann für uns früh morgens die zweitägige Fachtagung mit dem Aufbau unseres BBCIG e.V. – Infostandes.
Katja Fiebig reiste mit und unterstützte uns bei der Standbetreuung und während der Tagungszeiten durch eine hilfreiche Fotodokumentation.
An dieser Stelle einen herzlichen Dank an Katja für ihren Einsatz.
Zwei Tage Fachtagung bedeuten immer ein sehr straffes und sehr reichhaltiges Programm. Die Organisatoren haben es geschafft, durch eine gute Struktur und abwechslungsreiche Gliederung der Blöcke das Interesse der Zuhörer zu halten. Die Veranstaltung war ausverkauft und bis zum Ende gut besetzt.
Um wiederzugeben, was wir alles gehört und gesehen haben, bräuchte es ein eigenes Heft. Ich möchte Ihnen mit diesem Bericht einen kurzen Abriss über die Themen und die Highlights der Ergebnisse aufzeigen. Um es vorweg zu nehmen:
Wer sich für aktuelle Geschehnisse in der CI-Medizin und -Technik interessiert und einmal die „Quellen“ erleben möchte, dem seien solche Fachtagungen angeraten. Es ist anstrengend, aber überaus interessant und auch für CI-Tragende keine Hürde: Schriftdolmetscher waren im Einsatz.
Der erste Block der Tagung gab eine Sicht auf den Stand der CI-Versorgung. Was sagt die Leitlinie und wurde sie umgesetzt?
Prof. Stöver (Uniklinik Frankfurt, Moderation) und Prof. Lenarz (MH Hannover) stellten dar, dass grob gesagt, die Leitlinie es vorgibt, dass die Klinik eine CI-Klinik mit einem speziellen Team sein muss, dass es eine Reha und eine lebenslange Nachsorge im Verantwortungsbereich der Klinik geben muss und dass eine Qualitätssicherung nach Standardvorgaben erfolgen soll.
Es stellte sich heraus, dass sehr viele Patienten gar nicht wissen, dass es Leitlinien in jeder Klinik und jeder Reha, bzw. Therapieeinrichtung gibt. Dabei sind diese Leitlinien (im Gegensatz zu den gesetzlichen Richtlinien) nicht bindend, aber als Maßgabe zur Qualitätssicherung zu verstehen. Qualitätssicherung und -management werden für die Kostenträger in Hinblick auf steigende Fallzahlen immer wichtiger. Man schaut den Einrichtungen „auf die Finger“.
In diesem Block wurden sehr viele Fragen aufgeworfen: Wie kann man Leitlinien einhalten, wer kontrolliert dies? Was ist mit Zertifizierungen? Wer „darf“ zertifizieren?
Hier tun sich weite Gebiete auf. Gefragt sind medizinische Fachverbände, Kostenträger, der Staat, aber auch die Selbsthilfeorganisationen und natürlich die DCIG e.V. Es gibt noch sehr viel Gesprächsbedarf.
Wichtig für Sie als Patient: Ihre Klinik hat Leitlinien zum Thema CI-Versorgung. Fragen Sie nach!
Im zweiten und dritten Block ging es um die OP, Erstanpassung und Folgerehabilitation.
Michael Schwaninger (CIV HRM) moderierte und Prof. Stöver referierte über die Notwendigkeit und Ausprägung der Qualitätssicherung (QS) bei CI-Operationen, Stichwort „gelebte QS“. Der Patient soll sich auf die Klinik verlassen können.
Dazu folgte das Referat von Prof. Hoppe (Erlangen), das sich mit der Frage der QS bei der Erstanpassung beschäftigte.
Die Erstanpassung (EAP) basiert auf mehreren Säulen. Es beginnt mit der medizinischen Kontrolle nach der OP, dem die technische Anpassung mit Programmierung und Audiometrie folgt. Erst in der dritten Stufe, der Hörtherapie, wird das CI „eingestellt“. Hier kommt das Hör- und Akzeptanztraining und die psychologische Betreuung ins Spiel.
Inhaltlich nahtlos anschließend war das weite Feld der CI-Nachsorge. Prof. Baumann (Frankfurt/M) referierte.
Hauptpunkt ist die Interdisziplinarität bei der Basisrehabilitation. Bevor die lebenslange Nachsorge einsetzt, sind alle Disziplinen auch stadienübergreifend gefordert. Der Patient soll bereits vor der OP über den gesamten Ablauf informiert sein. Wichtiger jedoch ist die übergreifende Zusammenarbeit mit gegenseitigem Feedback und Einfluss auf Abläufe und Methoden. So kann ein Hersteller bspw. seine Geräte nur optimieren, wenn er von den Audiologen erfährt, wo die größten Hürden in der Einstellung liegen. Die Audiologen, als „Anpasser“, sind wiederum angewiesen auf den Austausch mit den Therapeuten. Das Zusammenspiel der Disziplinen und der Austausch mit dem gemeinsamen Ziel „Hörerfolg“ ist einer der wichtigsten Bausteine im Gesamtwerk „CI-Versorgung“.
Im weiteren Verlauf wurden die ambulante Reha und die stationäre Reha vorgestellt. Frau Dr. Zichner (CIC Berlin Brandenburg) sprach über die ambulante Reha und stellte deren Methodik und Vorteile dar. Im Gegenzug präsentierte Dr. Seidler (MediClin Bosenberg Kliniken) die stationäre Reha.
Die verständlicherweise kontroversen Sichtweisen auf beide Möglichkeiten führte zu intensiven Diskussionen. Dies machte jedoch auch deutlich, dass beide Methoden Vor- und Nachteile haben, die es als Patient abzuwägen gilt. Fragen, die man sich stellen könnte, waren z.B. wie wichtig Wohnortnähe und zeitliche Flexibilität gegenüber höherer Trainingsfrequenz und -intensität sind. Interdisziplinarität und
technische Hilfe waren ebenso Schlagworte, die für Betroffene wichtig sind.
Patienten sollten sich im Vorfeld genau über die Möglichkeiten der Basisrehabilitation informieren und Institutionen in ihrer Nähe aufsuchen. Letztlich muss jeder selbst entscheiden, wie er die Reha mit seinem Alltag vereinen kann und will.
Wer hierzu Fragen hat, kann sich immer an die BBCIG e.V. wenden.
Wir helfen gerne weiter.
Den Abschluss des ersten Tages bildete die feierliche und offizielle Verabschiedung von Hanna Hermann.
Frau Hermann hat seit 1989 das einstige „Mitteilungsblatt“ für CI Träger (damals gemeinsam mit Ernst Lehnhardt etabliert) in über 25 Jahren zu einer angesehenen Fachzeitschrift geformt.
Der Laudator, Prof. Lenarz, und der Präsident der DCIG e.V., Dr. Roland Zeh, würdigten gleichermaßen ihr Lebenswerk und verabschiedeten sie mit besten Wünschen in den Ruhestand.
Am nächsten Tag ging es im vierten Block dann um die Frage der lebenslangen Nachsorge.
Prof. Begall (Halberstadt) stellte in seinem Vortrag die Anforderungen an die lebenslange Nachsorge aus Sicht der Medizin und der Audiologie dar. Grundaussage war, dass man sich mit der CI-Versorgung im Normalfall auf einen lebenslangen Weg begibt. Man lässt sich darauf ein, mit und innerhalb einer Gemeinschaft ein Ziel zu erreichen.
Ein funktionierendes CI, regelmäßige (technische) Kontrollen und Beratungen zum Hören sind die grundsätzlichen Erfordernisse der Nachsorge. Unbedingt dazu zählt er auch die Erfahrung anderer und den Austausch mit Betroffenen bspw. in Selbsthilfegruppen.
Jeder spricht ganz selbstverständlich von der Reha nach der OP. Sehr interessant diesbezüglich war der Beitrag des Rechtsanwalts Koch, der die Frage zu klären suchte, was denn „Rehabilitation“ aus Sicht des Gesetzes meint. Prinzipiell ist der Vorgang „Reha“ gesetzlich ungeregelt. Die Definition ist dabei jedoch sehr diskussionsfähig. Nach Kochs Ausführung besagt „Rehabilitation“ nichts anderes, als „die Wiederherstellung eines früheren Zustandes“. Ist also ein Patient taub und lässt sich ein CI implantieren um (wieder) zu hören, müsste nach dieser Definition die Reha den früheren Zustand schaffen – den Patienten also wieder taub machen!?
Wie immer ist auch diese Definition interpretierbar und eine gewisse gesetzliche Vorgabe gibt es zur Nachsorge auch. Nachzulesen im SGB V, §28 Abs. 1, Satz 1.
Aber interessant bleibt diese Fragestellung dennoch.
In der Zusammenfassung machte Dr. Zeh dann auch deutlich, dass die CI-Versorgung und die damit verbundene Nachsorge (EAP, Reha und lebenslange Nachsorge) in jedem Fall ein sehr komplexes Thema ist. Regularien müssen erstellt werden, befolgt und kontrolliert werden. Qualitätssicherung und -management ist wichtig für alle Beteiligten, auch die Kostenträger. Interdisziplinarität fördern und fordern.
Im Hinblick auf die steigenden Fallzahlen kann die Nachsorge von den Kliniken allein kaum noch bewältigt, Kooperationsmöglichkeiten müssen bewertet und geschaffen werden.
Vor allem im Bereich der Langzeitnachsorge sind auch die Hörakustiker gefragt. Sie werden eine immer größere Rolle einnehmen, müssen aber noch viel tun in Fragen der Ausbildung der Mitarbeiter, Qualitätssicherung und Haftung etc.
Alle Themenblöcke wurden durch sog. „TED-Umfragen“ im Auditorium unterstützt. Nun sind ca. 200 Teilnehmer nicht wirklich repräsentativ, aber die Gruppe war gut durchmischt von Fachleuten, Betroffenen und Vertretern der Industrie, so dass doch eine allgemeingültige Tendenz abzulesen war.
Aus diesen Umfragen ergab sich z.B. die Erkenntnis, dass Leitlinien nur wenig bis gar nicht bekannt sind oder auch die Tatsache, dass ein erschreckend hoher Anteil Betroffener gar keine Reha genossen hat.
Außerdem war es sehr interessant, den an jeden Block anschließenden Gesprächsrunden zu folgen. Je nach Thema kamen Betroffene und/oder Fachleute aus Medizin und Produktion zusammen und diskutierten z.T. kontrovers ihre unterschiedlichen Standpunkte und Erfahrungen zum Thema.
In eigener Sache:
Der Tagung vorgelagert fand am 4. März die regelmäßige Vorstandssitzung der DCIG e.V. in den Hoffmanns Höfen in Frankfurt statt. Neben den allgemeinen Punkten der Tagesordnung ging es insbesondere um das Projekt „Schaffung einer gemeinsamen Datenbank“ zur überregionalen Verwaltung.
Die DCIG e.V. und die Regionalverbände haben sich darauf geeinigt, dieses Projekt anzugehen, um eine effizientere Koordinierung der Belange und Informationen in allen überregionalen Bereichen zu erreichen. Im Sinne aller Beteiligten bin ich damit beauftragt, eine Arbeitsgruppe zu bilden, die die Möglichkeiten und Erfordernisse dieser Datenbank erarbeiten soll. Der Vorstand der BBCIG e.V. arbeitet transparent, weshalb wir Ihnen im infoCIrkel auch über diese Vorgänge berichten.
Artikel erschienen im
infoCIrkel Nr. 68, Seiten 25-27 | Mai 2016 | Jahrgang 18 | BBCIG e.V.
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