Ja, und zwar doch noch in diesem Leben!
Mit einer gelungenem öffentlichen Aufführung am 13.10.2018 im Gemeindesaal der Evangelischen St. Thomasgemeinde in Frankfurt-Heddernheim fand das vierteilige Hörtrainingsprojekt von Sascha Roder seinen krönenden Abschluss. 12 CI-Träger/innen wagten dieses letzte Experiment mit Unterstützung des Gesangspädagogen und Stimmbildners Johannes Wilhelmi und den Musikern der Oper Frankfurt. Elke Firnhaber war dabei.
Ich wanderte bei sonnigem, klarem Wetter in alpiner Landschaft einen hohen Berg hinauf. Auf dem Gipfel stand erhaben eine kleine Kirche gefüllt mit Menschen, die zusammen im Chor sangen. Ich hörte erstaunlicherweise so gut wie noch nie – wie eine Hörende? Mit Tränen der Rührung wachte ich auf und dachte: „ Oh, wie göttlich! Ich möchte sooo... gerne als Hörende im Chor singen! Na ja, im nächsten Leben vielleicht."
Nachdem wir im März in einem Percussion-Workshop diverse Rhythmen erprobten, im Mai das Parkett mit Tango Argentino eroberten, im August mit unseren CI-Ohren unterschiedliche Streichinstrumente und Klavier auditiv voneinander differenzierten, geschah nun an einem spätsommerlichen Herbsttag im Oktober das Unfassbare: ein knappes Dutzend CI-Implantierte sangen drei deutschsprachige Klassiker auf der Bühne vor großem Publikum, begleitet von dem Streicherquartett „Cela Sonne Bien" und dem Klavier.
Dieser 4. und letzte Hörtrainingsabschnitt war der umfangreichste und ich denke, auch der anstrengendste, der aber reichlich mit Glück, Stolz, Freude, Selbstvertrauen, Beseeltheit, Gemeinschaftsgefühl und schließlich sogar mit reichlich Applaus und Lob belohnt wurde. An 3 Tagen probten wir eifrig mit unserem Chorleiter Johannes Wilhelmi im Gemeindesaal der Evangelischen St. Thomasgemeinde in Heddernheim. Er nahm die Herausforderung an, erstmalig mit CI-Trägern zusammenzuarbeiten. Wenn wir uns endlich mal vom Text lösen konnten, starrten wir ihn als eher visuell orientierte Schlappohren regelrecht an, aber er hat sich zum Glück daran gewöhnt. Alle Teilnehmer/innen waren sicherlich sehr dankbar für dessen ausgeprägte Gestik und Mimik. Mit deutlicher Körpersprache zeigte er uns die tiefen und hohen Töne an und mit klarem Mundbild sang er stimmlos den Text, so dass niemand zu schnell oder langsam wurde und sich immer wieder orientieren konnte, wenn der Text verloren ging. Zusätzlich übten wir zuhause mithilfe von Videos und Liedtexten aus dem Internet, ein echtes Hörtraining! Die Auswahl bestand hörbehindertengerecht aus drei bekannten deutschsprachigen Liedern, die nicht ganz so schwer zu singen sind bzw. für Hörgeschädigte machbar sind: Die Prinzen mit „Alles nur geklaut", Reinhard Mey mit „Über den Wolken" und Udo Jürgens mit „Griechischer Wein".
Aufgrund von Krankheit, Urlaub und Parallelveranstaltungen hatte sich unsere Truppe im letzten Abschnitt auf nahezu die Hälfte dezimiert. Auch einige Frühschwerhörige hatten leider abgebrochen. Die Frage, wie weit Frühschwerhörige an das Singen heranzubringen sind, wäre ein interessanter Forschungsgegenstand für die Zukunft. Die Verbliebenen aus Deaf Ohr Alive, der Selbsthilfegruppen Frankfurt und Darmstadt im Cochlear Implant Verband Hessen bildeten eine altersgemischte muntere Gruppe. Die persönlichen Hörgeschichten, die Hörversorgung, der Zeitpunkt der zunehmenden Ertaubung, die musikalischen Vorerfahrungen und vieles mehr konnten unterschiedlicher nicht sein. Das Gemeinsame ist: Alle Teilnehmer sind mit ein oder zwei CI´s versorgt.
Einige singen privat auch mit CI im Chor, andere wurden aus dem Kinderchor entlassen oder durften dort nur den Mund bewegen; und letztendlich gibt es auch solche wie ich, die zum ersten Mal hier in Heddernheim in einem Chor geprobt haben. Entsprechend gab es auch mal kleine individuelle Höhen und Tiefen, oft verbunden mit Selbstzweifeln. Sascha Roder und Johannes Wilhelmi verstanden es aber wunderbar, uns immer wieder Mut zu machen. Aus dem „Wir schaffen das!" wurde ein „Wir haben es geschafft!". An dieser Stelle passt folgender Spruch von Johann Wolfgang von Goethe, der uns von einer Teilnehmerin übermittelt wurde:
Gehe alles an, was du kannst
Johann Wolfgang von Goethe
oder zu können träumst.
In der Kühnheit liegt Genie,
Macht und Zauberkraft.
- „Ihr macht hier ein Hörtraining und nicht eine Solosänger-Ausbildung!"
- „Hörgeschädigte können singen."
- aufrecht und stabil stehen; ein Wackeln würden Hörende hören
- „Fehler" sind durch die Instrumentalbegleitung im Publikum kaum zu hören
- deutliches Sprechen, besonders der Konsonanten, ist wichtiger als den korrekten Ton zu treffen
- möglichst viel Text auswendig lernen, denn dann kann man unseren Dirigenten mit seinen schon genannten Hilfen anschauen (u.a. Hoch-Tief-Anzeige, stimmloses Mundbild)
- kleine Patzer sich nicht anmerken lassen, einfach weitersingen
- die begleitende Musik
Es war ein kleiner Quantensprung als bei den Proben die Musiker mit zwei Violinen, Bratsche, Cello und Klavier hinzukamen. Es klang alles nun voluminös mit Gänsehautgefühl. Johannes Wilhelmi erarbeitete mit uns nach Lockerungsübungen nicht nur methodisch die drei Songs. Auf-und Abgang zu und von der Bühne und das Auf- und Zuklappen der Mappen wurden ebenfalls einstudiert.
Erst während der Generalprobe kurz vor dem Konzert hat alles geklappt – nach nur drei Proben! Dann begann die große Aufregung, denn der Gemeindesaal füllte sich mehr und mehr. Da wir alle bibberten, war es leichter auszuhalten. In Schwarz-Weiß gekleidet und mit den schwarzen Mappen in den Händen betraten wir später feierlich die Bühne. Unsere Songs waren eingebettet in ein wunderschönes Konzert der Gruppe „Cela Sonne Bien" mit Stücken der Komponisten Ennio Morricone, Edward Elgar, Claude Debussy, W. A. Mozart, J. S. Bach und Robert Schuhmann.Zwei kurze Reden von Sascha Roder, dem Projektleiter und Ingrid Kratz, der Leiterin der CI-Selbsthilfegruppe Frankfurt im CIV HRM e.V. eröffneten das Konzert. Diese sensibilisierten die Hörenden für das Problem der Schwerhörigkeit, stellten das Projekt und die Musiker vor und dankten den Sponsoren.
Vor lauter Aufregung habe ich von den Reden nicht so viel mitbekommen, doch eine Sache hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Sascha Roder begann seine Rede in einem perfekten Koreanisch, was wohl einige Zuhörer zunächst irritiert hat. Niemand verstand – ja, so ging es den meisten von uns CI-Trägern vor der Operation!
Dieses Chorkonzert war wirklich ein furioses Finale des Hörprojektes. Es gab ausdauernden Applaus, eine Zugabe und vielfältige Anerkennung der Zuhörer (auch der hörenden!), die uns bei anschließenden Knabbereien und Getränken persönlich ansprachen.
Also: doch noch in diesem Leben!
Rückblickend auf das Gesamtprojekt gab es vielseitige Rückmeldungen von uns vielseitigen CI-Trägern. Jede/r hat für sich persönlich in diesem Hörtraining einiges gelernt und mitgenommen. Manche mögen lieber Tango, andere lauschen lieber den Instrumenten – und einige singen am liebsten.
Einen riesigen Dank an Sascha Roder, Johannes Wilhelmi, die Musiker und an Ingrid Kratz mit ihren hilfreichen Damen aus der CI-Selbsthilfegruppe Frankfurt!
Ein weiterer Dank geht an die evangelische St. Thomasgemeinde, die uns ihren Gemeindesaal überließ.
Letztendlich war dieses außergewöhnliche Projekt nur möglich durch die Unterstützung folgender Sponsoren: AOK-Hessen, Cochlear GmbH, Hörakustik Jens Pietschmann, Oper Frankfurt und dem Cochlear Implant Verband Hessen-Rhein-Main e.V.
Wir sind durch den Chor zu einer kleinen Gemeinschaft zusammengewachsen und wünschen uns sehnlichst eine Fortsetzung im Bereich des musikalischen Hörtrainings!
Es lohnt sich!
Zur weiteren Info:
In der Frankfurter Neuen Presse vom 13.10.2018 gibt es auf der ersten Seite des Kulturteils ein Interview mit Sascha Roder, Johannes Wilhelmi und Ingrid Kratz über das Musikprojekt.
Fotos: DDP
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