Selbsthilfe ist ein Kernbestandteil einer solidarischen Gesundheitskultur. Sie lebt von Unabhängigkeit, Authentizität und gegenseitiger Unterstützung unter Betroffenen – frei von wirtschaftlichen Interessen und kommerzieller Einflussnahme.

Zunehmend jedoch ist zu beobachten, dass Hersteller von Medizinprodukten versuchen, Elemente der Selbsthilfe in ihre Kommunikationsstrategien zu integrieren. Unter wohlklingenden Begriffen wie „Community", „Erfahrungsnetzwerk" oder „Peer-Programm" werden Formate geschaffen, die auf den ersten Blick an Selbsthilfe erinnern, in Wahrheit aber Teil des Marketings und der Kundenbindung sind.

Diese Entwicklung ist problematisch. Denn wo wirtschaftliche Interessen die Struktur, Themenwahl und Darstellung bestimmen, geht die zentrale Idee der Selbsthilfe verloren: nämlich der offene, gleichberechtigte und kritische Austausch von Betroffenen über Systemgrenzen hinweg.

Solche herstellergebundenen Netzwerke können durchaus wertvolle Begegnungen ermöglichen, doch sie unterliegen immer einem strukturellen Interessenkonflikt. Kritik am Produkt, Vergleiche zwischen Systemen oder Diskussionen über politische Rahmenbedingungen werden dort selten gefördert – häufig sogar vermieden.

Wenn Unternehmen den Begriff „Selbsthilfe" für solche Angebote verwenden, entsteht eine bedenkliche Verwischung der Grenzen zwischen authentischer Betroffenenarbeit und kommerziellem Marketing. Das gefährdet die Glaubwürdigkeit und die mühsam aufgebaute Unabhängigkeit der echten Selbsthilfe, die seit Jahrzehnten auf ehrenamtlichem Engagement, Transparenz und Meinungsvielfalt beruht.

Selbsthilfe darf kein Markeninstrument werden. Sie bleibt dann glaubwürdig, wenn sie von Betroffenen ausgeht – nicht von Herstellern.

Michael Schwaninger
Vorsitzender CIV HRM e.V.